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 Betreff des Beitrags: Der Notgau Andalusia
BeitragVerfasst: 24. Mai 2010, 21:24 
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k&k Hoflieferant, Professor
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Guten Abend zusammen,
ich habe heute eine unglaubliche Geschichte zur "Nachnutzung" von Münzen für Euch. Andalusia sagt Euch natürlich nichts. Laßt mich daher zuvor ganz kurz ausholen.
Als am 3./4.September 1939 die Briten dem Deutschen Reich den Krieg erklärten, brach für die Hunderttausende Auslandsdeutsche eine schwere Zeit an. Weltweit wurden alle wehrfähigen Deutschen in Internierungs- und Konzentrationslager verbracht. Auch über Südwestafrika ballten sich dunkle Wolken. Mit knapper Mehrheit stimmte das Südafrikanische Parlament für den Krieg gegen Deutschland. Damit waren die Würfel gefallen. Am 18.9.1939 begannen auch in SWA die Internierungen. Zuallererst wurden natürlich mißliebige Deutsche, Mitglieder der inzwischen verbotenen NSDAP, alte Kämpfer der Kaiserl. Schutztruppe und Deutsche, die auf Seiten der Buren gegen die Briten im Burenkrieg gefochten hatten, interniert. Danach fast alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren, mehr als 1600 wurden für 6 Jahre interniert. Zunächst wurden auf dem Gelände des ehem. Funkturmes in Windhuk (von den Gefangenen sofort Klein-Danzig genannt) die Internierten festgesetzt. Am Abend kam der Sekretär von SWA, Mr. Forsyth, mit ein paar Kisten Bier. Er entschuldigte sich für diesen "höheren Befehl". Der Ton änderte sich bald und die Internierten wurden in der Südafrikanischen Union in den Lagern Andalusia, Koffiefontein, Baviaanspoort interniert. Die Geschichte von 1914 wiederholte sich in den britischen Kolonien. Ganz klar, daß unter solchem Drangsal die Nationalsozialistischen Ideen reichen Nährboden fanden. So wurde im Lager sofort der "Notgau Andalusia" gegründet. Da vorher die Engländer NS-Parteiabzeichen etc. beschlagnahmten, mußten neue her. Not macht erfinderisch. Geldbesitz war streng verboten (es gab Lagergeld, das ist aber eine eigene Geschichte), wurden von den Wachmannschaften "Tiekies" (engl. tickey; silberne 3 pence Stücke) eingetauscht. Aus diesen wurden mit hoher Kunstfertigkeit Parteiabzeichen hergestellt. Ich kann eines davon hier zeigen, das Erste, das ich je gesehen habe. Auf der Vorderseite eingraviert: I. L. ANDALUSIA (INTERNIERUNGSLAGER), in der Mitte ein Hakenkreuz mit stilisiertem Eichenkranz, darunter jeweils die Anfangsbuchstaben des Besitzers. Hier D. W. (Dieter Wurm, der alte Herr lebt heute noch). Bis 1947 mußten die Deutschen sitzen und sollten allesamt unter Beschlagnahme ihres Eigentums in das zerschlagene Deutschland ausgewiesen werden. Der Sieg der nationalen Burenparteien 1948 rettete alle, die Engländer hatten die Macht am Kap verloren. Kein einziger der Internierten durfte nicht nach SWA zurückkehren. Die meisten beteiligten sich aus Dankbarkeit gegenüber dem Afrikanervolk freudig am fruchtbaren Aufbau von SWA und der SA Union. Wie ich anfangs schon schrieb, eine unglaubliche Geschichte.
Gruß zum Pfingstmontag,
Euer Südwester


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Dateikommentar: Die umfunktionierte Münze von vorn.
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Dateikommentar: Die Rückseite des Abzeichens, die Jz. 1940 ist gut zu erkennen.
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Dateikommentar: Ein Tiekie von 1950.
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Zuletzt geändert von südwester am 24. Mai 2010, 21:56, insgesamt 1-mal geändert.
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 Betreff des Beitrags: Re: Der Notgau Andalusia
BeitragVerfasst: 24. Mai 2010, 21:29 
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Das ist ja wirklich eine fast unglaubliche Geschichte, die Zeit des 2. Weltkriegs und darum herum ist voll solcher Sachen, es ist wichtig, daß diese Überlieferung gerettet wird. Hat Herr Wurm erzählt, ob diese Abzeichen dann im Lager offen getragen werden konnten?


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Notgau Andalusia
BeitragVerfasst: 24. Mai 2010, 21:40 
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k&k Hoflieferant, Professor
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Guten Abend KAM, ich habe bisher nur mit seinem Neffen gesprochen. Aber das kriegen wir noch raus. Ich bin der Familie erst einmal dankbar, daß ich die Geschichte erzählen durfte.
Die umfassendsten Darstellungen des Lagerlebens liefern die Bücher:
G. Hoffmann: Die verlorenen Jahre
R. Kock: Erinnerungen an die Internierungszeit
Danach haben die Insassen sich ganz schöne Frechheiten herausgenommen. So wurde offensichtlich für den verstorbenen W. II eine Gedenkfeier abgehalten und der 20.4. wurde mit einer extra großen Torte begangen.
Ich bleibe dran an der Geschichte.

Gruß,
Südwester

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Notgau Andalusia
BeitragVerfasst: 25. Mai 2010, 18:33 
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Magister

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Danke für die interessante Geschichte! Das gehört zu den Sachen die man so im Fernsehen nie sieht!
Über weitere Geschichten/Informationen zu der Geschichte würde ich mich sehr freuen!
Sind genauere Zahlen bekannt wie viele von den 1600 Inhaftierten dazu gehört haben?


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Notgau Andalusia
BeitragVerfasst: 25. Mai 2010, 20:13 
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Auch ich habe die Geschichte von südwester mit großem historischen Interesse verfolgt. Die deutschstämmigen Siedler wurden anno dazumal ja geradezu in Sippenhaft gesteckt.
südwester hat geschrieben:
... Geldbesitz war streng verboten (es gab Lagergeld, das ist aber eine eigene Geschichte)...

Ich weiß nicht, Hasso, ob Du auf das Thema Lagergeld aus Andalusia nochmal zu sprechen kommen wirst, aber es passt zum Thema. Wie Du schon im ersten Posting dieses Thread geschrieben hast, gab es Lagergeld in in Andalusia, Koffiefontein und Baviaanspoort. Die dort verwendeten Marken lassen sich meines Wissens nicht nach dem Lagerort unterscheiden. Vermutlich waren die Token in allen drei Lagern gleich gestaltet. Alle waren aus Vulcanit, mit verschiedenen Farbnuanchen. Die Stücke sind saumäßig selten und erzielen bei Auktionen Preise, bei denen einem die Luft wegbleibt. Dabei exisieren sogar gut gemachte Fälschungen, zumindest vom Stück zu 1 Pond. Laut Hern gibt es die Nominale 1 Penny, 3 und 6 Pence, 1, 2 und 10 Shillings sowie 1 Pound. Im nett geschriebenen Buch von C. L. Engelbrecht lese ich die Anekdote, daß alle Lagerinsassen bei Freilassung die Token abgeben mußten, welche dann vernichtet wurden. Die einzigen erhaltenen Stücke sollen angeblich in einem ausgehöhlten Stuhlbein aus einem (welchem?) Lager geschmuggelt worden sein. Das war aber der Stand der "Wissenschaft" von 1987, als das Buch erschien:

C.L. Engelbrecht, Money in South Africa, Tafelberg Edition, Cape Town 1987 (ISBN 0624025349)

Das Buch ist heute ziemlich schwer zu kriegen. Und die Anekdote klingt ziemlich abenteuerlich. Aber immerhin sind auf einer Tafel Farbbilder aller Nominale abgebildet. Dr. Theron schreibt in seinem Buch "Tokens of Southern Africa and their History" (Johannesburg 1978) darüber nüchterner, daß die Token 1941 in der South African Mint fabriziert wurden und 1946 zum Zweck der Zerstörung eingezogen wurden. Er weist dazu auf die Seite 164 des 1966 erschienenen und von Mrs. E.J. Maynard zusammengestellten Katalog des Afrikana Museums in Johannesburg hin. Leider kann ich diesen Katalog nicht mein Eigen nennen.

Ich selbst besitze auch nur 2 Exemplare dieser Lagertoken aus Andalusia und stelle sie hier mal vor.

Der Penny-Token (Hern#606h) mißt 32,1 mm im Durchmesser und wiegt 1,61 Gramm:
Dateianhang:
ZA_Andalusia 1d.jpg
ZA_Andalusia 1d.jpg [ 282.97 KiB | 9574-mal betrachtet ]

Das Sixpence-Stück (Hern#606f) läßt die Schieblehre bei 24,0 x 19,5 anschlagen und bringt 0,72 Gramm auf die Waage:
Dateianhang:
ZA_Andalusia 6d.jpg
ZA_Andalusia 6d.jpg [ 140.6 KiB | 9574-mal betrachtet ]

Der Rand des Pennies ist geriffelt, der des Sixpence glatt.

Eine Bemerkung, verbunden mit einem Fragezeichen, möchte ich zu diesen Token noch anbringen. Im Gegensatz zu allem anderen, was man sonst so von südafrikanischen Token in die Finger bekommt, schreiben Theron, Engelbrecht und Hern übereinstimmend, daß die Nominale zu 1 Pennie, 1 Sjieling und 2 Sjielings sowie zu 1 Pond ausschließlich in der Afrikaans-Schreibweise existieren, während 3 und 6 Pence sowie 10 Shillings nur in Englisch bekannt sind. Normalerweise gibt es entweder von allen Nominalen Ausgaben in beiden Sprachen bzw. diese zwei Sprachen zieren Av und Rv. Was soll das bedeuten? Gab es vielleicht auch die sprachlichen Antipoden, die nur noch nicht bekannt sind, oder hat man es sich nur einfach gemacht? Letzteres halte ich übrigens für wahrscheinlicher.

Bis andermal
Dietmar

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Heute liegt in aller Ewigkeit vor morgen. Bringe den heutigen Tag zu Ende, dann kümmere Dich um den nächsten (afrikanisches Sprichwort) Bild


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Notgau Andalusia
BeitragVerfasst: 22. Aug 2010, 15:36 
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k&k Hoflieferant, Professor
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Registriert: 9. Aug 2009, 22:00
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Wohnort: Stadt Wehlen (Königr. Sachsen)
Hier kommt nun noch ein umfunktioniertes 6 Pence-Stück.
Die Gravierung lautet:

ANDALUSIA
J 3
19 Weinacht 40

Die Leute hatten viel Zeit und Engländer ärgern machte halt Spaß. Erstaunlich, daß der Lagerkommandant so etwas zuließ, denn sowohl der Geburtstag SM Wilhelm II, wie auch des Führers wurden von den Insassen mit Torte und Bier gefeiert. Aber ein paar Ventile braucht man wohl, wenn man nur wegen seiner Rasse für 6 Jahre in ein KL eingesperrt wird. Übrigens wurde im Verlauf der Internierungszeit der Besitz von jeglichem Geld verboten und die Lagerersatzmünzen ausgegeben. Damit die Fertigung von Souvenirstücken weitergehen konnte, wurde Silbergeld bei den Wachmannschaften gegen selbstgebrannten Schnaps eingetauscht. Das hatte auch den Vorteil, daß die Bewacher immer schlechter sehen konnten.... :lol:

Südwester


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